Behandlung der Spastik
29.08.2018
Neurologische Schädigungen, die aus Läsionen des Gehirns oder Rückenmarks hervorgehen, zeigen häufig klinische Zeichen einer Schädigung des ersten Motoneurons (Upper Motor Neurone Syndrom, UMNS). Die Spastik als Symptom des UMNS kann isoliert auftreten, häufiger ist sie jedoch Teilsymptom. Die Behandlung der Spastik im Rahmen der neurologischen Rehabilitation ist eine große Herausforderung. Frühzeitige Diagnose, adäquate Therapieeinleitung und Verlaufsdokumentation sind wichtige Bausteine einer erfolgreichen Behandlung.
Was versteht man unter Spastik?
Die Spastik ist eine motorische Störung, die auch als spastisches Syndrom oder UMNS bezeichnet wird. Mit Spastik ist ein gesteigerter Muskeltonus gemeint. Sie entsteht üblicherweise nach Schädigungen des Zentralnervensystems und führt zu beträchtlichen Einschränkungen der Motorik und der Lebensqualität. So tritt die Spastik bei cerebro-vaskulären Ereignissen, Schädel-Hirn-Traumen, MS, Zerebralparalysen und Rückenmarkstraumen gehäuft auf. Die Spastik entwickelt sich nicht unmittelbar nach der akuten Zentralnervensystem-Läsion, sondern nach einem bestimmten Zeitintervall von einigen Wochen bis Monaten.
Spastik-Management
Die quantitative Erfassung der Spastik und der Muskelspasmen ist von zentraler Bedeutung, um das Potential möglicher Behandlungseffekte abschätzen zu können. Ein spezialisiertes und zielorientiertes Managementprogramm ist die Hauptvoraussetzung für eine erfolgreiche Spastikbehandlung. Wichtig sind dabei die Miteinbeziehung des Patienten und das Setzen realistischer Therapieziele. Neben der Durchführung einer genauen Anamnese und körperlicher Untersuchung sollten spastikspezifische Faktoren und Zustände genau beachtet und früh im therapeutischen Zielsetzungsprozess miteinbezogen werden. Dokumentiert werden sollten:
- Alle vorangegangen medikamentösen und physikalischen Therapien der Spastik
- Schmerzen, Muskelspasmen und -tonus
- Gelenksbeweglichkeit
- Schlafprobleme
- Blasen- und Darmbeschwerden
- Selbständigkeit im Alltag
- Hautzustand in den Regionen spastischer Muskulatur und bei Gelenkdeformitäten
Gemessen und dokumentiert werden sollten außerdem folgende Zustände:
- Spastik: Messungen der Spastik erfolgen mit der Modifizierten Ashworth Skala (MAS). Diese erfasst den geschwindigkeitsabhängigen Widerstand der Muskulatur gegen passive Bewegung.
- Parese: Nicht selten liegt neben dem erhöhten Muskeltonus auch eine ausgeprägte Lähmung (Parese) vor. Diese muss zeitgerecht erfasst und dokumentiert werden. Das erfolgt mit der Pareseneinteilung nach dem British Medical Research Council. Diese Skala reicht von der Gradstufe 0 (keine Kontraktion sicht- oder fühlbar) bis zur Stufe 5 (normale Kraft).
- Schmerzen: Da die Spastik auch mit Schmerzen verbunden sein kann, ist die zusätzliche Erfassung der Schmerzempfindungen durch entsprechende Skalen angebracht.
- Bewegungsausmaß: Das Bewegungsausmaß der Gelenke wird ebenfalls dokumentiert.
- Mobilität: Auf der Aktivitätsebene werden Mobilität der Extremitäten sowie die gezielte Stand- und Gehfähigkeit erfasst.
- Selbständigkeit im Alltag: Da die Spastik einen entscheidenden Einfluss auf den Alltag haben kann, muss auch die Selbständigkeit im Alltag abgeklärt werden.
Therapiemöglichkeiten
Zur Spastiktherapie gibt es einen Stufenplan, abhängig von Lokalisation und Ausbreitung. Es kommt Physiotherapie in Kombination mit medikamentöser Therapie zum Einsatz.
1. Pharmakologische Optionen bei der Spastik
Orale Medikation
Die Einnahme von krampflösenden Medikamenten wird zur Reduktion schmerzhafter Muskelspasmen eingesetzt. Diese wirken jedoch nicht nur auf die betroffenen Muskeln, sondern auf alle Muskeln im Körper. Eine individuelle und einschleichende Dosierung ist wichtig. Zum Einsatz kommen:
- Antispastika (z.B. Baclofen, Tizanidin)
- Benzodiazepine (z.B. Diazepam)
Fokale Therapien
Fokale Therapien haben den Vorteil, dass sie bei bestimmten Muskelgruppen oder lokalisierten spastischen Veränderungen eingesetzt werden und dabei keine systemischen Nebenwirkungen erzeugen. Die Behandlung erfolgt mit dem muskelentspannenden Wirkstoff Botulinumtoxin mittels Injektion direkt in die betroffene Muskulatur. Auf diese Weise bleibt die Wirkung lokal begrenzt. Das Medikament entfaltet nach wenigen Tagen seine Wirkung und führt zu einer Muskelentspannung. Die Injektion muss in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.
Chemoneurolyse mit Alkohol und Phenol
Bei fokalen Injektionen von Äthanol und Phenol erfolgt die Therapie durch Zerstörung des Nervengewebes. Heute wird die Chemoneurolyse kaum noch verwendet.
Intrathekales Baclofen
Eine orale Therapie mit Antispastika stößt wegen systemischen Nebenwirkungen oft rasch an Toleranzgrenzen. Zudem bewirkt der Effekt dosisabhängig auch eine Schwächung weniger betroffener Muskeln, erzeugt einen Blutdruckabfall oder verstärkt eine vorbestehende Ataxie (Bewegungsstörung). Die häufigste Nebenwirkung ist eine stark einschränkende Ermüdbarkeit, was sich stark auf den Alltag auswirkt. Rehabilitative Maßnahmen werden dadurch erschwert. Eine intrathekale Therapie mit Baclofen (ITB) vermag hier effizient anzusetzen. Das Medikament wird per Katheter verabreicht und eine sehr niedrige Dosierung reicht meist aus, um eine effiziente Senkung des Muskeltonus zu bewirken. Eine ITB sollte idealerweise durch konventionelle Physiotherapie ergänzt werden. ITB ist ein Verfahren, das nur bei schwerer Spastizität zum Einsatz kommt.
2. Chirurgische Therapieverfahren
Liegen besondere medizinische Gründe vor, kann auch eine neuro-orthopädische oder neuro-chirurgische Operation in Frage kommen. Da die Operation häufig nur eine vorübergehende Besserung der Spastik bewirkt, wird sie selten durchgeführt.
Der Autor Dr. Javier Blanco ist Chefarzt in der Rehaklinik Dussnang, einer Gesundheitseinrichtung der VAMED. Dr. Christian Kätterer ist leitender Arzt an der REHAB Basel.
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