Was ist neurologische Rehabilitation?

10.09.2016
Neurolog. Rehazentrum Rosenhügel | Ganganalyse | credit Andreas Leo Wallner

Auch bei Erkrankungen des Nervensystems ist es Ziel der Rehabilitation, soweit möglich die Funktion wieder herzustellen, die Alltagsaktivität zu optimieren und die soziale Teilhabe bestmöglich zu erreichen.

Dabei geht man in einem modernen Rehabilitationsansatz von der „Neuroplastizität“ aus. In der Physiologie bedeutet Plastizität eine Veränderung des zentralen Nervensystems durch Informationen (Reize). Das Gehirn ist nicht fix „verdrahtet“, sondern verändert sich lebenslang durch Erfahrungen und Eindrücke, es bilden sich immer wieder neue Verbindungen zwischen Nervenzellen – wir lernen. Dieses Lernen bzw. wieder erlernen ist zentrales Thema der Rehabilitation, auch viele Jahren zum Beispiel nach einem Schlaganfall .

Wie läuft die Reha ab?

Die Reha hat das Ziel nach neurologischen Erkrankungen (wie Multiple Sklerose, Morbus Parkinson oder nach einem Schlaganfall) die Gesundheit wieder bestmöglich herzustellen. Der Patient soll dadurch eine weitgehende Selbständigkeit zurück erlangen. Ein Rehabilitationsteam erstellt für jeden Patienten einen individuellen Therapieplan. Nach einer Erstuntersuchung werden persönliche Ziele festgelegt. In der Regel dauert ein Reha-Aufenthalt vier Wochen. Während dieser Zeit erhält der Patient mindestens zwei bis drei Stunden Therapie pro Tag.

Phasenmodell der neurologischen Reha

Die Neurorehabilitation ist in 7 Phasen eingeteilt. Diese erfolgt über die Schwere der neurologischen Schädigungen und deren Symptome. Gemessen werden diese zum Beispiel anhand des sogenannten Barthelindex, der die Selbständigkeit im Alltag misst. Die Phase, in der sich der Patient befindet, bestimmt auch die Therapie.

  • Phase A - Akutbehandlung: Intensivstation
  • Phase B – Frührehabilitation: Der Patient hat meist noch schwere Bewusstseinsstörungen. Intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten sind noch notwendig. Durch rehabilitative Maßnahmen soll eine Besserung des Bewusstseinszustandes erreicht werden. Aufnahmekriterien: Nicht mehr dauerbeatmungspflichtig, kreislaufstabil, Verletzungen versorgt, Kein Hirndruck.
  • Phase C - Weiterführende Rehabilitation: Der Patient kann bei der Therapie bereits selbst mitarbeiten, muss aber noch mit hohem pflegerischen Aufwand betreut werden. Durch die Reha soll eine Teilmobilisierung erreicht werden.
  • Phase D - Medizinische Rehabilitation: Tritt nach Abschluss der Frühmobilisierung ein und stellt die medizinische Rehabilitation im bisherigen Sinn dar.
  • Phase E - Nachgehende Rehabilitation: Hier geht es vor allem um die berufliche, soziale und häusliche Wiedereingliederung. Die Behandlungserfolge sollen aufrecht erhalten bleiben.
  • Phase F – Aktivierende Rehabilitation: Aktivierende Behandlungspflege für Patienten im Wachkoma.
  • Phase G – Betreutes und begleitendes Wohnen: Der Patient wird dabei unterstützt zu einem selbstbestimmten Leben zurück zu finden – Hilfe zur Selbsthilfe.

Bei welchen Indikationen kommt eine neurologische Rehabilitation infrage?

  • Schlaganfall
  • Hirnblutungen
  • Parkinson und verwandte Erkrankungen
  • Multiple Sklerose
  • Entzündliche Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks
  • Gutartige Tumore
  • Atypische degenerative Hirnerkrankungen
  • Schädelhirntrauma
  • Bandscheibenvorfall
  • Polyneuropathien und Polyradikulitiden (z.B. Guillain-Barré-Syndrom)
  • Muskelerkrankungen
  • Nach Hirngefäßoperationen

Welche neuen technischen Therapiemöglichkeiten gibt es?

Neben den etablierten Therapieformen wie zum Beispiel aus Physiotherapie, Ergotherapie, Logooädie, Massagetherapie und Psychologie, stehen verschiedene neue Technologien zur Verfügung:

  • transkranielle Elektrostimulation: Darunter versteht man die Reizung des zentralen Nervensystems durch extern angelegte elektrische Felder. Wie funktioniert das? Kaum spürbare elektrische Ströme werden mit Hilfe von auf die Stirn und Hinterkopf geklebten Elektroden durch die Haut geleitet und unterstützen den Hirnstoffwechsel.
  • Elektrotherapie kann grundsätzlich zur Verbesserung der Muskelfunktion, zur Schmerzbehandlung oder zur Verbesserung der Durchblutung eingesetzt werden. Durch eine Muskelstimulation werden auch Sensoren stimuliert, die wiederum die Funktion des zentralen Nervensystems aktivieren.
  • Funktionelle Elektrostimulation: Darunter versteht man die Reizung der Muskulatur zu einem exakt abgestimmten Zeitpunkt, um eine komplexe Bewegung zu unterstützen.Wie funktioniert das? Mit Hilfe von angebrachten Elektroden wird mit geringen Stromstößen die Ansteuerung eines gelähmten Nervs stimuliert – der Muskel bewegt sich dadurch wieder. Der Zeitpunkt der Stimulation wird durch Bewegungssensoren kontrolliert.
  • Neurofeedback: Wenn verschiedene Nervenbahnen (Informationswege) komplett und irreversibel zerstört wurden, wird die Information in einer „Umleitung“ entweder vom Gehirn in die Peripherie oder aus der Peripherie zum Gehirn übermittelt.    
  • Wie funktioniert das? Brain-Computer-Interfaces basieren auf der Erkenntnis, dass schon die Vorstellung eines Verhaltens messbare Veränderungen der elektrischen Hirnaktivität auslöst. Zum Beispiel führt die Vorstellung eine Hand zu bewegen, zur Aktivierung des entsprechenden motorischen Hirnrindenareals (Kortex). In der Therapie lernt sowohl der Rechner als auch der Mensch, welche Veränderungen der Hirnaktivität mit bestimmten Vorstellungen verknüpft ist und somit werden die Bewegungen immer genauer.
  • Eine weitere weiterführende Möglichkeit bietet ein „Brain-Computer-Interface“ (BCI): Diese „Gehirn-Computer-Schnittstelle“ ist ein spezieller Apparat, der ohne Aktivierung des peripheren Nervensystems eine Verbindung zwischen Gehirn und einem Computer ermöglicht. Dabei werden elektrische Aktivitäten des zentralen Nervensystems registriert (mittels EEG oder implantierten Elektroden) und durch einen Computer in Bewegung umgewandelt. Das kann zum Beispiel durch die eigene Muskulatur mittels Elektrostimulation erfolgen aber auch durch externe Motoren, die zum Beispiel einen Rollstuhl antreiben oder Prothesen bewegen.
  • Wie funktioniert das? Am Kopf des Patienten werden EEG-Elektroden angebracht. Mit Hilfe der EEG-Messung wird die Gehirnaktivität sichtbar gemacht. Der Patient erhält über einen Bildschirm ein audiovisuelles Feedback, das Veränderungen in der Gehirnaktivität rückmeldet. Durch die Wahl der Elektrodenpositionen und der Software wird die therapeutische Wirkung gesteuert.
  • Neurofeedback ist eine Spezialform des Biofeedbacks (EEG-Biofeedback). Dabei werden Aktivitäten der Peripherie (z.B. Muskelaktivität) registriert, optisch und/oder akustisch dargestellt und so vom Auge bzw. Ohr in das zentrale Nervensystem weitergeleitet.

Wer ist für die neurologische Reha zuständig?

Für die neurologische Rehabilitation ist ein transdisziplinäres Team nötig. Dieses besteht nicht nur aus Medizinern und Sozialarbeitern, sondern beispielsweise auch aus Bioingenieuren und Informatikern. Bei der Arbeit muss das Team Änderungen im Laufe des Krankheitsprozesses berücksichtigen.

Moderne Rehabilitation soll einem „3T-Ansatz“ folgen. Das bedeutet Therapie – Technologie – Translationalität (Entwicklung). Therapie und Technologie müssen miteinander verbunden sein, Entwicklungen sollen parallel erfolgen.

Moderne Technologien in der neurologischen Reha sind leider kein Allheilmittel. Sie geben aber die Möglichkeit für eine individuelle und somit personalisierte Rehabilitation. Jede neurologische Erkrankung muss als individueller, auf den Patienten bezogener Prozess gesehen werden, um ihm die bestmögliche Therapie zu ermöglichen.

Quellen:

Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Multiprofessionelle neurologische Rehabilitation; AWMF-Registernummer: 030/122; Stand: September 2012;

Österreichische Gesellschaft für Neurorehabilitation: Phaseneinteilung neurologischer Krankheitsprozesse unter http://www.neuroreha.at/phasenmodell.html

 

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AUTOR

Univ. Doz. Dr. Thomas Bochdansky vorm. VAMED - Chief Medical Director

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